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Die Last, die du nicht trägst

Die Situation pflegender und betreuender Angehörigen von psychisch Erkrankten

Menschen mit psychischen Störungen und Erkrankungen erfahren in der breiten Masse der Bevölkerung weit weniger Verständnis und Zuspruch als Personen mit körperlichen Gebrechen. In der Begleitung und Betreuung dieser Patienten entstehen deshalb weit mehr Hürden als es für Aussenstehende scheint.

Neben der Herausforderung ausgehend von der Bürokratie durch die Beantragung von Leistungen für die Hilfe und Betreuung von Kranken, steht den Angehörigen die Aufgabe der Organisation einer bedarfsgerechten Unterstützung bevor. Hierbei fehlt es meist an einer Art „Nachbarschaftlichen Hilfe“, weil diese Art der Erkrankungen bei den Mitmenschen eher Angst und Hilflosigkeit als Fürsorge und Verantwortung weckt. Das erschwert die oft engmaschig notwendige Betreuung und Beaufsichtigung der Patienten für die pflegenden Angehörigen noch zusätzlich.


Zu dem persönlichen emotionalen und körperlichen Stress, welchem viele betreuende Angehörige von psychisch Erkrankten ausgesetzt sind, kommt die Angst vor einer akuten kritischen Situation des betreffenden Krankheitsbildes, welche in besonderen Umständen mit dem Tod des Patienten einhergehen kann. Deshalb ist neben einer umfangreichen Diagnostik auch eine gute Organisation der Betreuung, ein hilfreiches Netzwerk und eine zielgerichtete Therapie, von entscheidender Bedeutung, wenn es um eine gute Prognose für den Krankheitsverlauf geht. Oft bewältigen Betreuer und pflegende Angehörige psychisch erkrankter Menschen einen ganz persönlichen Schmerz, denn sie müssen einen Umgang mit der Situation finden, in der ihr Familienmitglied nicht mehr die Person sein wird, die sie einmal war. Der Sprung der Erinnerungen zur Realität ist häufig Verstandes- mässig nicht zu greifen und hinterlässt bei dem Betroffenen tiefe Wunden, weshalb auch sie selbst meist eine gute Unterstützung benötigen. Während Angehörigen, die Familienmitglieder im Alter oder während Krankheitszuständen pflegen oder betreuen, im Allgemeinen großer Respekt entgegengebracht wird, so ist der Umgang mit diesen Pflegenden von psychisch Kranken oft von Scheu, Abneigung oder oberflächlichem Interesse, sowie Unverständnis, geprägt.


Ein Ausflug in die Geschichte und die Gegenwart der psychischen Erkrankungen und den Umgang mit ihnen

Unterschiedlichen Forschungsprojekten, wie etwa dem Schweizer- SESAM Projekt zufolge ist die Wahrnehmung von psychischen Krankheiten abhängig von der Zeit und dem Kontext, in welchem sie stehen. So galten bis zum 19. Jahrhundert Menschen mit einem Verhalten, welches sich von dem der Mehrzahl der Bevölkerung unterschied, als irre oder von einem Dämon besessen. Das rührte vor allem daher, dass diese Störungen nicht offensichtlich mit Schäden des menschlichen Organismus einhergehen und somit unverständlich und nicht erklärbar waren. Menschen mit Verhaltensauffälligkeiten wurden vor dieser Zeit missachtet, waren verhasst, wurden nicht nur gemieden, man trachtete ihnen nach dem Leben, aus der Angst heraus, dass sich dieses gestörte Verhalten unter der Bevölkerung verbreiten könnte.


Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nahm die Wissenschaft sich der Psyche und den seelischen Vorgängen des Menschen an und erforschte ihre Verhaltensweisen, wie sie sich verändern können, und wie sie sich beeinflussen lassen. Mit diesem Wissen wurde in anderen Ländern, wie auch in der Schweiz, damit begonnen Kliniken für psychisch erkrankte Menschen aufzubauen, um denen optimal helfen oder weiter an ihnen forschen zu können. So entstanden bis zum Jahr 1914 in der Schweiz 20 Kliniken für Geisteskrankheiten. Allerdings war dies keineswegs nur eine rühmliche Anstrengung, denn Menschen mit psychischen Störungen und Erkrankungen wurden noch lange zur Sterilisation gezwungen und die Eingehung einer Ehe wurde verboten, womit man zu verhindern versuchte, dass sie ihre Krankheit weiter vererbten und somit die Bevölkerung „durchseuchten“. Etwa zeitgleich entwickelte sich unter den Ärzten die Fachrichtung Psychiatrie, wobei hier die Gefahr der Trennung zwischen dem Organismus und der Seele eines Menschen besteht und mögliche Zusammenhänge in der Ganzheit vernachlässigt oder ignoriert werden.



Heute nehmen psychische Störungen und Krankheiten einen immensen Teil der Erkrankungen in der Bevölkerung insgesamt ein und kosten den Kassen und damit der Gesamtbevölkerung viel Geld. Laut der Weltgesundheitsorganisation nehmen Depressionen so zu, dass sie nach den Erkrankungen des Herz- und Kreislaufsystems an zweiter Stelle der verbreitetsten Krankheiten weltweit stehen werden. Auch wenn die Behandlung heute durch gezielte Gesprächstherapien und regulierende Medikamente erfolgversprechend verläuft, so ist die Zahl der Rückfälle und Neuerkrankungen hoch. Dies wird begünstigt durch den hohen gesellschaftlichen Druck, dem Stress innerhalb und ausserhalb des privaten Lebens und im Beruf selbst, sowie durch die mangelhafte Selbstpflege der Menschen und die fehlende Selbstverwirklichung. Es sind hier dringend präventive Massnahmen angezeigt, die verhindern, dass sich mehr und mehr Menschen überlastet, ausgelaugt, und lebensunfähig fühlen. Es gilt ebenso den psychosomatischen Störungen von Beginn an effektiv entgegenzuwirken, um eine nachfolgende psychische Erkrankung zu vermeiden.


Auch Krankheiten, wie etwa die grosse Gruppe der Demenz, nehmen stetig zu, sind aber nicht zwangsläufig in der Lebensführung oder den Lebensumständen des Betreffenden begründet. So leben laut Statistiken in der Schweiz derzeit über 144`000 Menschen mit einer Demenz, wobei jährlichen Hochrechnungen zufolge über 30`000 Personen hinzukommen. Die unterschiedlichen Unterkategorien des Oberbegriffs Demenzerkrankung umfassen etwa 100 Krankheiten. Somit stellt diese Gruppe der Erkrankungen eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung dar. Besonders belastet von einer psychischen Erkrankung und einer dementsprechenden Pflegebedürftigkeit sind nicht nur die Erkrankten selbst. Auch für die Angehörigen ändert sich mit dem Eintreten einer Pflegebedürftigkeit und notwendigen Betreuung ein grosser Teil ihres Lebens.



Die Herausforderung der Betreuung und Pflege psychisch kranker

Psychisch Erkrankte sind im Schnitt wesentlich weniger in einer regelmässigen Kontrolle durch einen Arzt oder Therapeuten eingebunden als es bei Patienten mit rein körperlichen Krankheiten

der Fall ist. Ebenso sind die medizinischen Möglichkeiten, wie etwa aussagefähige Blutwerte oder eine Wundkontrolle, hier nicht gegeben. Psychische Erkrankungen unterliegen weniger der Apparatemedizin und sind deshalb verstandesmässig schwerer zu begreifen. Die Beurteilung des aktuellen Zustandes eines Erkrankten ist im psychischen Bereich deshalb schwieriger und bedarf eines hohen Masses an Kenntnissen über die Störung und deren mögliche Verlaufsformen, sowie eines guten Gespürs von eventuell eintretenden Symptomen, und eine hohe Flexibilität. Dies könnte als eine Art Vorahnung bezeichnet werden, welche es der betreuenden Person ermöglicht rechtzeitig entsprechende Hilfe aufzugleisen.


Oft sind psychisch kranke Personen derart betreuungspflichtig, dass sie zu ihrem eigenen Schutz stets unter Beobachtung stehen müssen. Das ist meist mit nur einer betreuenden Person nicht leistbar. Hinzu kommen die Hürden der Bürokratie, die notwendig sind, um entsprechende Hilfen, Sachleistungen und finanzielle Mittel, zu beantragen. Hierbei ist in den meisten Fällen eine immense Vorarbeit nötig, welche vom Antragsteller zu erbringen ist. Während diese Vorarbeit geleistet wird und die Voraussetzungen geschaffen werden vergeht in der Regel viel wertvolle Zeit, welche sowohl finanziell als auch in der Hinsicht der Betreuung und Aufsicht des Patienten, überbrückt werden muss. Dies alles leisten Angehörige von psychisch Kranken, um eine Heimunterbringung ihrer Familienmitglieder zu vermeiden, und ihnen den Wunsch zu erfüllen weiterhin in ihren eigenen vier Wänden leben zu dürfen.


Hinzu kommen die Angriffe auf die Erkrankten und die Angehörigen selbst, denen sie sich ausgesetzt sehen, und gegen die sie sich zur Wehr setzen müssen. Dies ist ein langwieriger Prozess, bei welchem die betreffenden Personen unterstützt und begleitet werden müssen. Insbesondere gilt dies für Angehörige von Erkrankten, welche unter Persönlichkeitsstörungen leiden, ihr Umfeld in Mitleidenschaft ziehen, oder suizidgefährdet sind. Hier stellt sich dem Aussenstehenden von Nicht-betroffenen meist die Frage nach dem Sinn der aufopferungsvollen Betreuung und Pflege des Angehörigen.




Hilfe, Unterstützung und Schutz von psychisch Kranken und deren pflegenden Angehörigen

Egal um welche psychische Erkrankung es sich handelt, die eine Familie ereilt hat, ist es immer ein Schock und ein tiefer emotionaler Einschnitt. Für Angehörige gilt beim Eintritt der Diagnose einer psychischen Erkrankung eines nahen Familienmitgliedes die eigene Persönlichkeit neu zu entdecken, sie zu entwickeln, Grenzen weiter zu stecken und Pläne im Leben neu zu definieren. Dies ist wichtig, um die eigenen Energien bündeln zu können und zu eruieren, in welcher Art und Weise sie Hilfe für ihren erkrankten Angehörigen leisten können und wollen. Hierfür und für den Fall einer Diskriminierung, existieren landesweit Selbsthilfegruppen, deren Mitglieder per Telefon oder online gut erreichbar sind.


Viele psychologische Therapeuten bieten den Angehörigen von psychisch Erkrankten eigene Gesprächsmöglichkeiten, bei denen Lösungen entwickelt und weitere Hilfen geschaltet werden können. Überdies hinaus ist es wichtig, dass Angehörige ins Gespräch gehen und sich auf verbalem Wege einer Last befreien können.


Bezüglich der Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen ist die Landesregierung mit Ahndungen von Vorkommnissen und Beschlüssen gefragt, welche den hohen moralischen Anspruch in der Bevölkerung durchsetzen. Es gilt offen zu diskutieren und zu kommunizieren, mit den Betroffenen ins Gespräch zu kommen, sowie aufklärend und präventiv Einfluss zu nehmen.


In jedem Kanton der Schweiz sind für Betroffene Hilfsstellen geschaltet, die einen „Fahrplan“ zur Verfügung stellen, welcher durch die Bürokratie der Antragstellung für Hilfen beim Bundesamt für Gesundheit führt. Hier sind auch Berater/innen für ein persönliches Gespräch im Einsatz.

Speziell für Alzheimer- und Demenz- Erkrankte und deren Angehörige ist die Seite alzheimerpunktchentstanden, auf der Betroffene Hilfe erhalten.





Sowohl Erkrankte als auch Angehörige können sich ganz persönlich an einen Pflege- und Assistenzdienst in ihrem Wohnort wenden, die vor Ort bedarfsgerechte Hilfe und Unterstützung koordinieren können und die betroffenen Familien langfristig begleiten.


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